Eine repräsentative Befragung von rund 49'000 Berufslernenden in der Schweiz durch das Kompetenzzentrum WorkMed bestätigt die alarmierenden Ergebnisse der Lernenden-Umfrage der Unia aus dem Vorjahr: Viele Lernende sind psychisch belastet und erhalten im Berufsbildungssystem zu wenig Unterstützung. Der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB) fordert rasches Handeln. Ein erster wichtiger Schritt wären mehr Ferien während der Lehre – fünf Wochen reichen nicht. Die laufende Petition an den Bundesrat für «8 Wochen Ferien in der Lehre» wurde über dieses Wochenende von mehr als 95`000 Lernenden und Jugendlichen unterschrieben (8wochen.ch). Der Leidensdruck und Handlungsbedarf ist offensichtlich. Die Berufslehre muss aufgewertet werden – durch mehr Anerkennung und mehr Erholung.
Fast zwei Drittel aller Lernenden fühlen sich psychisch belastet
61 Prozent der Befragten gaben an, während der Lehre psychische Probleme gehabt zu haben. 60 Prozent dieser Lernenden berichten, dass ihre Probleme durch die Lehre ausgelöst oder verstärkt wurden. Die Hälfte von ihnen gibt zudem an, dass diese Probleme sie in der Lehre einschränken – das betrifft rund 30 Prozent aller befragten Lernenden. Die Umfrage zeigt klar: Psychische Belastungen sind ein zentraler Grund für Lehrvertragsauflösungen.
Lange Arbeitszeiten und zu wenig Ferien sind die häufigsten Sorgen
63 Prozent der Lernenden nennen lange Arbeitszeiten, zu wenig Ferien und die Angst vor schulischer Überforderung als häufigste Belastungen. An zweiter Stelle folgt das mangelnde Verständnis des Lehrbetriebs bei Fehlern oder persönlichen Schwierigkeiten (60 Prozent). Als wichtigste Faktoren für einen erfolgreichen Lehrabschluss und eine Weiterempfehlung des Betriebs nennen Lernende Wertschätzung durch ein unterstützendes Team (48 Prozent) und ein angenehmes Arbeitsklima (25 Prozent).
Ein Fünftel denkt über einen Lehrabbruch nach
Nur 56 Prozent der Lernenden würden ihren Lehrbetrieb uneingeschränkt weiterempfehlen, 33 Prozent nur bedingt – und jede:r zehnte Lernende (11 Prozent) gar nicht. In sehr kleinen Betrieben ist der Anteil jener, die über einen Lehrabbruch nachdenken, am höchsten. Am häufigsten werden Problemen mit dem/der Berufsbilder:in (63%) genannt, weil den Lernenden das Gefühl gegeben wurde, nichts zu können, weil sie sich im Team unwohl fühlten und sie nicht gefördert wurden. Insgesamt ziehen über ein Fünftel (22 Prozent) der Befragten zum Zeitpunkt der Umfrage eine Lehrvertragsauflösung in Erwägung.
Fehlende Unterstützung im Berufsbildungssystem
Trotz psychischer Belastungen fand bei 78 Prozent der betroffenen Lernenden kein Gespräch im Lehrbetrieb oder in der Berufsfachschule statt. Nur acht Prozent sprachen mit der Lehraufsicht / dem kantonalen Berufsbildungsamt. Beratungsangebote der Berufsfachschule oder des Lehrbetriebs nutzten lediglich zwei Prozent der Lernenden. Besonders wichtig wären den Jugendlichen: ein kostenloses Angebot (51 Prozent), Vertraulichkeit (49 Prozent) und garantierte Anonymität (41 Prozent). Doch Unterstützungsstrukturen, die diesen Anforderungen genügen, fehlen in der Schweiz noch weitgehend. Umso wichtiger wären eine stärkere Präsenzmöglichkeit der Gewerkschaften an Berufsschulen, um die Lernenden bei ihren Rechten und Möglichkeiten zu unterstützen, und ein rascher Ausbau der Schulsozialarbeit an Berufschulen.
Dringender Handlungsbedarf zur Stärkung der Berufslehre
Die Berufslehre ist ein zentraler Pfeiler der Schweizer Wirtschaft. Berufslernende von heute sind die Fachkräfte von morgen. Ein erfolgreicher Berufsabschluss ermöglicht soziale Mobilität und stärkt die Schweizer Volkswirtschaft. Trotzdem wird immer noch vorwiegend ins Berufs- und Lehrstellenmarketing investiert – nicht aber in die Lernenden selbst und in substanziell bessere Ausbildungs- und Arbeitsbedingungen. Die öffentlichen Mittel für die berufliche Grundbildung sind bescheiden, während v.a. in Hochschulen investiert wird. Dabei lohnt sich die Ausbildung von Lernenden auch für die Betriebe: Sie profitieren von einem durchschnittlichen Nettonutzen von über 3’000 Franken pro Jahr und Lehrverhältnis.
Die Studie zeigt klar: Je besser Lernende von Berufsbildner:innen und Lehrpersonen unterstützt werden und je positiver das Klima in Betrieb und Schule ist, desto seltener treten psychische Probleme auf – und desto grösser sind die Lernfortschritte und die Leistungen.
Wirtschaft, Politik und Gesellschaft sollten ein starkes Interesse daran haben, die Bedingungen für junge Lernende zu verbessern.
Der SGB fordert rasches Handeln und eine echte Aufwertung der Lehre
Das bedeutet auch konkrete und spürbare Anerkennung für die Lernenden, die viel leisten – und von denen viele am Anschlag sind. Acht Wochen Ferien wären ein erster konkreter Schritt zur Aufwertung der Berufslehre, damit das Erfolgsmodell der Schweizer Berufsbildung auch in Zukunft funktioniert.